Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien und die damit in die Atmosphäre ausgestossene Vulkanasche bescherte der Schweiz im Jahr 1816 um 80 Prozent höhere Niederschläge und um 2 bis 4 Grad kühlere Temperaturen als gewöhnlich. Diese Klimaveränderung bildete die Ursache der Hungerszeit von 1817/1818. «Das Jahr 1816 ist dann auch dadurch ausgezeichnet, dass in jedem Monat Schnee fiel, sodass die Getreidefelder Ende September noch so grün waren wie sonst im Juli. Im Engadin musste man schon anfangs September die Alpen entladen. Da es im Sommer 19 mal geschneit hatte, fand das Vieh kein Gras mehr, weder auf den Wiesen noch auf der Weide.».
Die Teuerung begann schon im Herbst 1816. Die Lebensmittelpreise stiegen bald um 175-200%. Diese Zahl verdeutlicht die Nachfrage bzw. das weit darunter liegende Angebot.
«Die Lage einzelner war so, dass sie auch vor Abfällen nicht zurückschreckten. Haufenweise sah man die hungernden Menschen auf Strassen und in allen Gassen auf ekelnden Misthaufen, in kleineren Kotgefässen wühlen und die elendsten Nahrungsteile, Kartoffelhülsen, faulende Rüben etc. verschlingen, die abgesottenen Knochen, die sie selbst fanden, nach Hause nehmen, bis sie zwei-, dreimal gekocht, zuletzt noch mit harten Zähnen zermalmt oder zerstossen wurden.»
In Chur wurde vom Wohltäter Prof. Johann Conrad Herold eigens eine Knochenmühle im Welschdörfli beim Breitenbach eingerichtet, in welcher Knochen zu Mehl gestampft wurden. Dies wurde der breiten Bevölkerung in der «Churer Zeitung» vom 14. März 1817 bekannt gegeben. Der Stampferlohn von zwei Krennen kostete einen Blutzger. Wer nicht zahlen wollte oder konnte, lässt für die zwei gestampften Krennen 10 Krennen der rohen Knochen. Mit Zusatz von Brot, Kartoffeln und Früchten ergab das Knochenmehl eine vollwertige Nahrung. Ein anderes Ersatzmittel war das Holzbrot: Dazu wurde die Rinde von Birkenbäumen zermalmt, mit etwas Kleie vermischt und zu Broten gebacken.
Im Kreisschreiben vom 20. November 1816 musste die Regierung bekennen «dass es eine erklärte Unmöglichkeit sein würde, aus der äusserst beschränkten Hilfsquelle der Kantonskassa dem allgemeinen Mangel der ärmeren Volksklassen auch nur einigermassen zu wehren». Den Gemeinden wird empfohlen, besondere Armenkommissionen zu bestellen.
Die Behörden erkannten, dass die Erstellung leistungsfähiger Verkehrsverbindungen über unsere Pässe von grösster Wichtigkeit waren. Unter dem Titel «Eine Hungersnot stand Pate» berichtet Werner Roth-Bianchi in einem Artikel in der «Terra Grischuna» von der zügigen Inangriffnahme dieser Vorhaben: Am 14. September 1818 erfolgte der Baubeginn des Strassenbaus über den San Bernardino, der bereits 1823 abgeschlossen war. Weitere Strassenbauten folgten.[76]
Quellen:
76: Die Hungersnot von 1816/17 in Graubünden, Peter Brosi, 2006
Erwähnte Personen:
Johann Konrad Herold (28.6.1779–2.5.1856), Ratsherr, Professor an der evangelischen Kantonsschule, Bauinspektor. Vgl. zu ihm VALÈR: Geistlichen, 1919, S. 125. Siehe auch Bürgerregister Chur, Nr. 246.